Seit ich schwanger bin gehören zwei Tätigkeiten zum täglichen Alltag dazu:

Kopfschütteln und mich selber auslachen

Ich finde es teilweise unglaublich, wie man so „groß“ werden und in so vielen Dinge so naiv bleiben konnte wie ich. Bis ich 32 Jahre alt war, dachte ich, Kühe geben Milch, weil sie Gras fressen. Bis ich 37 Jahre alt war, dachte ich, dass für schwangere Frauen jeder Tag ein Fest- und Freudentag ist (vorausgesetzt, sie müssen sich nicht übergeben). Heute weiß ich, dass das anders ist. Beides.

Vor vier Jahren – in der Blütezeit meiner Turtlerunner-Karriere (das Jahr meines ersten Halbmarathons), war ich so unverschämt gut drauf und zusätzlich gut in Form (für meine Verhältnisse), dass ich andere Menschen wohl teils etwas irritiert habe mit meiner unvermeidlichen positiven Energie. „Und was machst du, wenn du mal nicht mehr laufen kannst?“, fragte mich eine Kollegin damals.

Ich – ganz in meiner rosagrünen Turtle-Wolke – hob nur verständnislos die Augenbrauen. Ich nicht mehr laufen? Ja, wieso denn? Das würde doch wohl niemals im Leben geschehen. Niemals, jetzt wo ich das Laufen für mich entdeckt hatte. Exakt das antwortete ich ihr. „Ich werde immer laufen können, ich wüsste nicht, was das ändern soll!“ erklärte ich selbstbewusst.

Kopfschütteln und mich selber auslachen.

Die letzten 12 Monate hatte ich mit einer lästigen Fasziengeschichte zu kämpfen, die mich vom Laufen abhielt, weil keiner wusste, was es tatsächlich war. Ich bekam Flüssigkeit in mein Hüftgelenk gespritzt, um zu sehen, ob dort alles paletti war, ich hatte zig Physiotherapie-Einheiten und erst beim Osteopathen kam dann etwas Erleichterung. Der Laufstart schien plötzlich wieder nah. Der Silberstreif am Horizont.

Ok, der Silberstreif verwandelte sich dann Mitte Januar in 2 blauen Streifen auf dem Schwangerschaftstest. Oha. Ich. Schwanger. Vorgestellte hatte ich mir das ja schon hin und wieder. Aber das dann blau auf weiß zu sehen – ist doch irgendwie anders. Der nächste Gedanke: „Verdammt, das muss dann ja auch irgendwie wieder rauskommen!“ Aber da bis dahin ja noch weitere (fast) neun Monate verblieben, verschob ich den Panik-Gedanken kurzerhand auf später.

Und die Laufpläne?

Tja … meine erste Aktivität war, den Frauenarzt zu kontaktieren und einen Termin zu vereinbaren. „Ich hab Zeit, ich brauch nicht sofort einen Termin – mir geht’s super“, war meine optimistische Aussage am Telefon. Termin vereinbart für 5 Wochen später. Zeit genug, zu trainieren. Damit der Gang auf die Waage nicht gleich so ins Gewicht fiel und ich zumindest ein wenig wieder meine alte Form oder wenigstens mein Körpergefühl zurückerlangen konnte.

Gute vier Tage später ging es los … die Übelkeit und zu allem Überfluss ein grippaler Infekt, der sich fast drei Wochen lang dahinzog. Dann kam die Müdigkeit. Diese Art von Müdigkeit, die plötzlich aus dem Hinterhalt zuschlägt und dir einfach mal so alle Lichter ausbläst – gerne auch mal mitten am Tag.

Es folgte viel, viel Ruhe und Schlaf zu unmöglichen Zeiten. Und die Erkenntnis: Es ist alles völlig anders, als ich mir das bisher vorgestellt hatte. Vielleicht an anderer Stelle mehr zu meinen internen Umbrüchen, was dieses Thema der Selbsterkenntnis anging, aber was meine Sportlichkeit angeht:

Ich laufe jeden Tag gefühlt einen Marathon.

Manchmal reicht der zwar nur von der Wohnung die Treppe runter und wieder hoch – aber das Gefühl, lieber Himmel, das ist dasselbe. Nur die Euphorie fehlt. Kurzatmigkeit in der Schwangerschaft? Bitte, was soll denn der Quatsch – das braucht doch kein Mensch. Die Natur scheinbar schon. Als ich vorletzte Woche 200 Meter zum Gemeindeamt gelaufen bin (spaziert sollte ich besser sagen), stand ich mit Schweißtropfen auf der Stirn vor der Dame im Büro. Diese schickte mich noch 2 Stock höher. Sportlich ambitioniert wie ich bin, versuchte ich es zu Fuß. Im 1. Stock rief ich den Lift. Vor dem nächsten Beamten bekam ich mein Anliegen nur noch in Halbsätzen herausgepresst. Auf dem Heimweg musste ich in der Hälfte der Strecke einen Zwischenstopp in einer Umkleidekabine eines Geschäftes einlegen. Der Ordnung halber probierte ich etwas an. Dafür musste ich mich aber erst mal „trockenlegen“ – ich war so durchgeschwitzt, wie sonst frühestens nach 8 Kilometern.

Und die Moral dieser Geschichte?

Ich schätze, ich werde nie wieder über irgendwas urteilen, wenn ich es zuvor nicht selbst erlebt habe. Und wiederum auch gelernt habe ich: Nur weil die Medien (öffentlich oder selbstgemacht wie FB, Instagram & Co.) dir ein Bild vermitteln von glücklichen Kühen, Schwangeren, LäuferInnen etc. heißt das nicht, dass das das Gesamtbild ist (steht hier wirklich 3 x das(s)?) und dass es für dich selbst nicht völlig anders sein kann. Nur weil niemand darüber redet oder postet, heißt es nicht, dass es nicht existiert.

Und kann ich trotzdem glücklich schwanger sein, auch wenn mir ständig schlecht ist/ war und mich derzeit nicht in der Lage fühle, meine Laufkarriere wieder aufzunehmen? Ja, und wie!  Denn das gehört zum Gesamtbild einfach dazu. Ich war immer schon eine Anhängerin des großen Ganzen. Schwarz und Weiß. Heiß und kalt. Lachen und weinen. Schön und naja halt nicht schön. Langsam und schnell. Das macht das Leben doch erst komplett. Und Fakt ist: Es ist und bleibt einfach ein Wunder, was da im Körper passiert. Dreht und wendet es wie ihr wollt. Es ist ein Wunder.

Und Turtlerunner sein bedeutet für mich genau das: Laufen, wie ich will. Ankommen sein, wie ich will. Schwanger sein, wie ich will. Essen, wie ich will. Leben, wie ich will. Ich mache aus allem das Beste. Mein Bestes. Mit Höhen & Tiefen, weil ich beides zu schätzen weiß und das eine ohne das andere nicht existieren kann. Und so beginnt das nächste Abenteuer. Ich freue mich, wenn du dabei bist.

 

Bildcredit: Pixabay „Stairs“ von Klaus Hausmann